Christine Holle
Seit einigen Jahren nimmt die sechste Klasse am Wilstedter Abendlauf teil. Alle Schüler starten für die 5-km-Strecke, die durch den bunt geschmückten Ort führt. Viele Musikgruppen begleiten die Läufer und sorgen für Abwechslung und Ablenkung an der Laufstrecke.
Die Teilnahme an diesem besonderen Laufereignis entstand auch aus der „Not“ heraus; Da die 12. Klasse im März für ihr Klassenspiel übt und die große Halle/Saal deshalb immer mindestens zwei Wochen belegt ist. Leider ist das Wetter in dieser Jahreszeit für Draußen-Sport kühl. Laufen also! Unsere „Hausstrecke“ durch die Wiesen hinter der Schule ist allen von Spaziergängen und dem „Marathon“ der Olympischen Spiele bekannt. Ziel ist immer, dass jeder zu einem lockeren Dauerlauftempo findet, bei dem er sich noch gut unterhalten kann. Gemeinsam besprechen wir immer, dass jeder nun auf seinen eigenen Körper hören muss, und dass jeder sein individuelles Tempo finden kann und dass es darum geht, die eigene Ausdauer zu schulen
Da der Lauf erst Ende Mai stattfindet, setze ich das Training nach den Osterferien fort und nutze es als Erwärmung für den weiteren Stundenverlauf in der Halle.
Je nach Länge des Schuljahres kann es sein, dass wir bereits im Februar mit dem Laufen anfangen, damit die Kinder sich an die Regelmäßigkeit gewöhnen und sie wirklich kleine Erfolge erreichen können.
Jeder testet eigene Leistungsgrenzen und fordert sich selbst heraus. Der Vergleich mit dem Freund bleibt nicht aus, geübt werden soll immer wieder das Besinnen auf die eigene Leistungsfähigkeit.
Die gemeinsame Aktion steht im Vordergrund. Jeder läuft dann mit einem Freund an der Seite, man darf natürlich auch zwischendurch gehen und an einem der Getränkestände etwas trinken.
In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass alle Schüler ihre Erwartungen übertroffen haben und auch die langsameren von ihren Leistungen selbst positiv überrascht waren.
Über der Start- und Ziellinie läuft zwar eine Uhr, doch letztlich zählte für die meisten das Einlaufen, begleitet vom Jubel der Eltern!
Am Abend des Laufs trifft sich die gesamte Klasse mit den begleitenden Eltern stets vor der Startkartenausgabe und die Kinder ziehen unser Schul-T-shirt an, dass vor einigen Jahren extra für diesen Lauf vom Geld des Novembermarktes gekauft wurde. Dann heftet sich jeder seine eigene Startkartennummer vorne auf die Brust. Das alles ist sehr aufregend und wirkt schon recht professionell. Ringsherum herrscht schon Trubel und man sieht viele verschiedene Menschen jeden Alters: vom Profiläufer bis zu Firmengruppen, vom Kindergartenkind (1-km-Lauf), bis zu älteren Semestern, in Top-Sportbekleidung bis zu kostümierten Teilnehmern.
Alle versammeln sich zur Begrüßung auf dem Sportplatz, wo bereits sämtliche Gruppen ihre (Zelt-)Lager aufgestellt haben. Auch wir suchen uns ein Plätzchen und folgen dabei demjenigen, der unser großes Holzschild mit der Aufschrift „Freie Rudolf-Steiner-Schule Ottersberg“ trägt.
Bis der Start um 20 Uhr 45 beginnt, toben die Kinder herum und verfolgen schon einmal den Lauf für die „Minis“: die Kinder bis zehn Jahre laufen eine Runde von 1km raus aus dem „Stadion“ und unter lautem Jubel wieder hinein. Dieser Vorlauf macht unsere Schüler dann schon bereit und nach dem gemeinsamen Foto begeben sich alle zum Start.
Einige Eltern bleiben am Start/ Ziel, damit unsere Flitzer auch beim Einlaufen bejubelt werden. Andere gehen gerne ins Dorf, z.B. an die Kreuzung, an der immer eine tolle Sambagruppe spielt und alle Läufer motiviert.
An der Strecke stehen kleine Schilder mit dem Hinweis, wie viele Kilometer noch zu laufen sind.
Am Ziel ist es immer wunderbar zu sehen, wie glücklich die Schüler über ihre Leistung sind. Sie strahlen und tauschen sich über ihre Leistungen aus. Die begleitenden Eltern sind ebenfalls von diesem Laufereignis angesteckt und freuen sich mit ihren Kindern.
Darf man als Waldorfschule nun an einem derartigen „Event“ teilnehmen?
Im Lehrplan für Waldorfschulen steht u.a. folgendes: Sechste Klasse: Das egoistische-persönliche Willenselement wird durch den Lauf ins Bewusstsein gehoben. Jetzt ist es berechtigt, danach zu streben, der Erste, der Sieger zu sein.
(Leibesübung und Bewusstseinsschulung, Rudolf Kischnick, 1955).
Im selben Buch Kischnicks steht ein sehr aufschlussreicher Bericht über das Laufen an sich. Einen Teil möchte ich an dieser Stelle gerne zitieren:
„Der Läufer wurde in alten Zeiten zusammengebracht mit Hermes, dem Götterboten, oder dem Gott Merkur. Merkurius ist der Heilige. Liegt im Lauf etwas Heilendes? Gemäß der laten Auffassung ist der Mensch dann gesund, wenn alle seine Kräfte in der rechten Weise aufeinander abgestimmt sind, wenn der Kräftehaushalt in der rechten Weise ausbalanciert ist, und zwar kommt es darauf an, dass die Kopfkräfte und die Willenskräfte zueinander in das richtige Verhältnis gebracht werden. Das Neue, was entsteht, ist der gesunde Lebensrhythmus.
Betrachtet man den Lauf nach seiner phänomenologischen Seite hin, dann fällt einem auf, dass hier ein Gleiches stattfindet. Was den guten Läufer immer auszeichnet, ist ein harmonischer Bewegungsfluss. Wie kommt dieser zustande? Dadurch, dass Schwerkraft und Auftrieb in der rechten Weise zusammenwirken. Zwischen oben und unten hält sich der Läufer in der Mitte. Der vollkommene Lauf wirkt schwerelos. Er ist damit das eigentliche Symbol für die Überwindung zweier naturhaft-gegebener Gegenkräfte. Auftrieb und Schwere sind ein ungleiches Kräftepaar.. Wer sie nicht überwindet, verfällt der einen Kraft oder der anderen.
Der Mensch ist in den Raum hineingestellt. Oder muss er sich der einen oder anderen Kraft unterwerfen? Keineswegs. Es liegt schon in der Anordnung seiner Glieder die Möglichkeit der Überwindung dieser Gegensätze. Allerdings muss er von sich aus noch etwas dazu tun. Er muss nicht nur laufen lernen, sondern richtig laufen lernen. Wer zeigt ihm aber, wie richtig gelaufen wird? Das zeigen dem Griechen die Athleten, welche alle vier Jahre in Olympia zusammentrafen und um den Lorbeerzweig stritten. Es waren diejenigen, die im Körperlichen die Mitte zwischen oben und unten gefunden hatten und durch den Wettkampf unter Beweis stellen sollten. Der antike Läufer war auf Schnelligkeitsrekorde nicht eingestellt, denn er musste um eine Wendemarke herumlaufen und zu seinem Ausgangspunkt zurückkehren. In dieser Tatsache liegt eine tiefe Beziehung zum Lebenslauf eines jeden Menschen. Hat man die Lebensmitte erreicht, dann muss man in gewisser Weise wieder zurück. Kindheit und Alter stehen in Beziehung zueinander.
So betrachtet war der Lauf eine Art Sinnbild für das Leben schlechthin: Halte die Mitte solange du lebst, war die tiefere Bedeutung dieser Übung. Aus der Harmonie des Ganzen heraus festen Fuß zu fassen, das war es, worauf es ankam. Und es stand vor jedem der vielen Zuschauer unbewusst die Aufforderung: So wie jene dort musst du auch deinen Weg finden könne, kraftvoll, harmonisch und schön.
Das war immer Steiners Anliegen. Anfangs hatte er große Bedenken, da die militäische Komponente zu starken Einfluss hatte und viele Übungen zu mechanisch waren.
Die Gefahr besteht auch heute wieder, wenn der Mensch als Maschine zur Leistungsoptimierung genutzt wird. Alle Werte werden gemessen und ausgewertet. In den Zirkussen gibt es Artisten, die zu unmenschlichen Leistungen gedrillt werden.
Es gilt also wieder, die Balance zu finden. Der Mensch ist ein geistiges Wesen und kein Roboter. Wie finde ich meine Balance als Mensch im Raum? Wie finde ich den Ausgleich zwischen oben und unten, links und rechts, hinten und vorne, der Schwere und der Leichte?
Um eine gesunde, die Entwicklung des Menschen unterstützende Bewegungsform zu finden, beauftragte Rudolf Steiner Fritz Graf von Bothmer. Ich wünsche mir, dass ich noch lange mit begeisterten Kindern und Eltern am Abendlauf teilnehmen kann. Es gibt übrigens eine ganz neue Initiative aus dem Schülerrat: Wir wollen auch einmal die größte Gruppe unter den Teilnehmern sein. Dafür müssten mindestens 240 Schüler mitmachen! Also los, Laufschuhe an und die frische Luft genießen!

Christine Holle
Seit einigen Jahren nimmt die sechste Klasse am Wilstedter Abendlauf teil. Alle Schüler starten für die 5-km-Strecke, die durch den bunt geschmückten Ort führt. Viele Musikgruppen begleiten die Läufer und sorgen für Abwechslung und Ablenkung an der Laufstrecke.
Die Teilnahme an diesem besonderen Laufereignis entstand auch aus der „Not“ heraus: Da die 12. Klasse im März für ihr Klassenspiel übt und die große Halle/Saal deshalb immer mindestens zwei Wochen belegt ist. Leider ist das Wetter in dieser Jahreszeit für Draußen-Sport kühl. Laufen also! Unsere „Hausstrecke“ durch die Wiesen hinter der Schule ist allen von Spaziergängen und dem „Marathon“ der Olympischen Spiele bekannt. Ziel ist immer, dass jeder zu einem lockeren Dauerlauftempo findet, bei dem er sich noch gut unterhalten kann. Gemeinsam besprechen wir immer, dass jeder nun auf seinen eigenen Körper hören muss, und dass jeder sein individuelles Tempo finden kann und dass es darum geht, die eigene Ausdauer zu schulen
Da der Lauf erst Ende Mai stattfindet, setze ich das Training nach den Osterferien fort und nutze es als Erwärmung für den weiteren Stundenverlauf in der Halle.
Je nach Länge des Schuljahres kann es sein, dass wir bereits im Februar mit dem Laufen anfangen, damit die Kinder sich an die Regelmäßigkeit gewöhnen und sie wirklich kleine Erfolge erreichen können.
Jeder testet eigene Leistungsgrenzen und fordert sich selbst heraus. Der Vergleich mit dem Freund bleibt nicht aus, geübt werden soll immer wieder das Besinnen auf die eigene Leistungsfähigkeit.
Die gemeinsame Aktion steht im Vordergrund. Jeder läuft dann mit einem Freund an der Seite, man darf natürlich auch zwischendurch gehen und an einem der Getränkestände etwas trinken.
In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass alle Schüler ihre Erwartungen übertroffen haben und auch die langsameren von ihren Leistungen selbst positiv überrascht waren.
Über der Start- und Ziellinie läuft zwar eine Uhr, doch letztlich zählte für die meisten das Einlaufen, begleitet vom Jubel der Eltern!
Am Abend des Laufs trifft sich die gesamte Klasse mit den begleitenden Eltern stets vor der Startkartenausgabe und die Kinder ziehen unser Schul-T-shirt an, dass vor einigen Jahren extra für diesen Lauf vom Geld des Novembermarktes gekauft wurde. Dann heftet sich jeder seine eigene Startkartennummer vorne auf die Brust. Ringsherum herrscht schon Trubel und man sieht viele verschiedene Menschen jeden Alters: vom Profiläufer bis zu Firmengruppen, vom Kindergartenkind (1-km-Lauf), bis zu älteren Semestern, in Top-Sportbekleidung bis zu kostümierten Teilnehmern.
Alle versammeln sich zur Begrüßung auf dem Sportplatz, wo bereits sämtliche Gruppen ihre (Zelt-)Lager aufgestellt haben. Auch wir suchen uns ein Plätzchen und folgen dabei demjenigen, der unser großes Holzschild mit der Aufschrift „Freie Rudolf-Steiner-Schule Ottersberg“ trägt.
Bis der Start um 20 Uhr 45 beginnt, toben die Kinder herum und verfolgen schon einmal den Lauf für die „Minis“: die Kinder bis zehn Jahre laufen eine Runde von 1km raus aus dem „Stadion“ und unter lautem Jubel wieder hinein. Dieser Vorlauf macht unsere Schüler dann schon bereit und nach dem gemeinsamen Foto begeben sich alle zum Start.
Einige Eltern bleiben am Start/ Ziel, damit unsere Flitzer auch beim Einlaufen bejubelt werden. Andere gehen gerne ins Dorf, z.B. an die Kreuzung, an der immer eine tolle Sambagruppe spielt und alle Läufer motiviert.
An der Strecke stehen kleine Schilder mit dem Hinweis, wie viele Kilometer noch zu laufen sind.
Am Ziel ist es immer wunderbar zu sehen, wie glücklich die Schüler über ihre Leistung sind. Sie strahlen und tauschen sich über ihre Leistungen aus. Die begleitenden Eltern sind ebenfalls von diesem Laufereignis angesteckt und freuen sich mit ihren Kindern.
Darf man als Waldorfschule nun an einem derartigen „Event“ teilnehmen?
Im Lehrplan für Waldorfschulen steht u.a. folgendes: Sechste Klasse: Das egoistische-persönliche Willenselement wird durch den Lauf ins Bewusstsein gehoben. Jetzt ist es berechtigt, danach zu streben, der Erste, der Sieger zu sein.
(Leibesübung und Bewusstseinsschulung, Rudolf Kischnick, 1955).
Im selben Buch Kischnicks steht ein sehr aufschlussreicher Bericht über das Laufen an sich. Einen Teil möchte ich an dieser Stelle gerne zitieren:
„Der Läufer wurde in alten Zeiten zusammengebracht mit Hermes, dem Götterboten, oder dem Gott Merkur. Merkurius ist der Heilige. Liegt im Lauf etwas Heilendes? Gemäß der laten Auffassung ist der Mensch dann gesund, wenn alle seine Kräfte in der rechten Weise aufeinander abgestimmt sind, wenn der Kräftehaushalt in der rechten Weise ausbalanciert ist, und zwar kommt es darauf an, dass die Kopfkräfte und die Willenskräfte zueinander in das richtige Verhältnis gebracht werden. Das Neue, was entsteht, ist der gesunde Lebensrhythmus.
Betrachtet man den Lauf nach seiner phänomenologischen Seite hin, dann fällt einem auf, dass hier ein Gleiches stattfindet. Was den guten Läufer immer auszeichnet, ist ein harmonischer Bewegungsfluss. Wie kommt dieser zustande? Dadurch, dass Schwerkraft und Auftrieb in der rechten Weise zusammenwirken. Zwischen oben und unten hält sich der Läufer in der Mitte. Der vollkommene Lauf wirkt schwerelos. Er ist damit das eigentliche Symbol für die Überwindung zweier naturhaft-gegebener Gegenkräfte. Auftrieb und Schwere sind ein ungleiches Kräftepaar.. Wer sie nicht überwindet, verfällt der einen Kraft oder der anderen.
Der Mensch ist in den Raum hineingestellt. Oder muss er sich der einen oder anderen Kraft unterwerfen? Keineswegs. Es liegt schon in der Anordnung seiner Glieder die Möglichkeit der Überwindung dieser Gegensätze. Allerdings muss er von sich aus noch etwas dazu tun. Er muss nicht nur laufen lernen, sondern richtig laufen lernen. Wer zeigt ihm aber, wie richtig gelaufen wird? Das zeigen dem Griechen die Athleten, welche alle vier Jahre in Olympia zusammentrafen und um den Lorbeerzweig stritten. Es waren diejenigen, die im Körperlichen die Mitte zwischen oben und unten gefunden hatten und durch den Wettkampf unter Beweis stellen sollten. Der antike Läufer war auf Schnelligkeitsrekorde nicht eingestellt, denn er musste um eine Wendemarke herumlaufen und zu seinem Ausgangspunkt zurückkehren. In dieser Tatsache liegt eine tiefe Beziehung zum Lebenslauf eines jeden Menschen. Hat man die Lebensmitte erreicht, dann muss man in gewisser Weise wieder zurück. Kindheit und Alter stehen in Beziehung zueinander.
So betrachtet war der Lauf eine Art Sinnbild für das Leben schlechthin: Halte die Mitte solange du lebst, war die tiefere Bedeutung dieser Übung. Aus der Harmonie des Ganzen heraus festen Fuß zu fassen, das war es, worauf es ankam. Und es stand vor jedem der vielen Zuschauer unbewusst die Aufforderung: So wie jene dort musst du auch deinen Weg finden könne, kraftvoll, harmonisch und schön."
Das war immer Steiners Anliegen. Anfangs hatte er große Bedenken, da die militäische Komponente zu starken Einfluss hatte und viele Übungen zu mechanisch waren.
Die Gefahr besteht auch heute wieder, wenn der Mensch als Maschine zur Leistungsoptimierung genutzt wird. Alle Werte werden gemessen und ausgewertet, manche drillen sich zu Höchstleistungen.
Es gilt also wieder, die Balance zu finden. Der Mensch ist ein geistiges Wesen und kein Roboter. Wie finde ich meine Balance als Mensch im Raum? Wie finde ich den Ausgleich zwischen oben und unten, links und rechts, hinten und vorne, der Schwere und der Leichte?
Um eine gesunde, die Entwicklung des Menschen unterstützende Bewegungsform zu finden, beauftragte Rudolf Steiner Fritz Graf von Bothmer.
Ich wünsche mir, dass ich noch lange mit begeisterten Kindern und Eltern am Abendlauf teilnehmen kann. Es gibt übrigens eine ganz neue Initiative aus dem Schülerrat: Wir wollen auch einmal die größte Gruppe unter den Teilnehmern sein. Dafür müssten mindestens 240 Schüler mitmachen! Also los, Laufschuhe an und die frische Luft genießen!