Günter Stamsen
Trauerfeier am 22.01.2016
Von Jan Friedrich Walther

Es ist schön, dass Ihr alle so kurzfristig kommen konntet; normalerweise hätte ich Günter losgeschickt. Er hätte gesagt: „Wir machen eine Feier, möglichst noch mit Ausstellung und Filmvorführung. Ich sage allen bescheid, organisiere den Abwasch - da brauche ich nur ein paar Helfer - hier eine große Schüssel mit Gartenschlauch,
den Mülleimer hierhin, die Getränkekisten stapeln wir hier, dort kommen die leeren Kisten für das Leergut hin. Wir brauchen genügend Handtücher, hier die nassen auf die Heizung, dort den Kühlschrank, für die Getränke. Ich stelle mich dann an den Grill und mache vorher den Parkplatzeinweiser. Las’ mal, ich mach das schon!“
Das ist Günter! Günter ohne Th!

Wir sind heute eine Trauergemeinde, eine Gemeinde, vereint im Gedenken, in Gedanken an Günter Stamsen.

Jeder hat seine eigenen Gedanken, jeder hat seine eigenen Erlebnisse mit Ihm gehabt.
Wir kommen aus allen Himmelsrichtungen, aus den unterschiedlichsten Lebenslagen und tragen hier und heute unsere ganz eigenen unterschiedlichsten Erinnerungen mit und an Günter, zusammen.

Ich habe Günter 1992 kennengelernt. Das war ganz einfach, ich bin nach Abschluß der 12. Klasse mit Mana zusammen ins Backhaus gezogen, habe mit Werkzeug geklappert und war auch zu später Stunde noch bereit für Späße und Geselligkeit in der Werkstatt hinterm großen Studio bei Ines und Jürgen.

Hat Günter jemals schlecht über Mitmenschen geredet?
Hat er jemals vergessen, die Haustiere, (Meerschweinchen, Hasen, Katzen, Hühner zu füttern?) Selbst die Mäuse wollte er lieber vergrämen als töten!

Aber ein bisschen schrullig war er doch schon oder?
Er hat aus heiterem Himmel so laut genossen, das alle zusammengefahren sind und ich ihn mehr als einmal wegen des Schreckens zurechtweisen musste.

Günter wurde am 20.10.1950 in Wilhelmshaven geboren. Im Alter von sieben Jahren ist er mit seiner Schwester Ulla und seiner Mutter, nach dem sein Vater an den Folgen eines Autounfalls verstorben war, zu Tante Heli nach Zeven gezogen.

Zuhause in Zeven gab es Freiheit und Abenteuer.
Man konnte Schlittschuh auf der zugefrorenen Baugrube laufen und den an das Grundstück angrenzenden Fluss aufstauen um Tarzan zu spielen. Leider wurde vergessen, die Stauung nach Spielende wieder aufzuheben, welches eine übergelaufene Klärgrube, deren Inhalt sich im Keller des Hauses sammelte zur Folge hatte.

Bereits hier wusste Günter Rat und stellte sein Organisationstalent unter Beweis, indem er seiner Schwester Ulla erklärte, wie sie die Materie aus dem Keller zu befördern hätte während er längere Zeit nach dem für Ihn passenden Schöpfmittel suchte.

In Günters Elternhaus und der Umgebung gab es viele Freiheiten, welche jedoch durch festen Regeln Ihren Rahmen bekamen. Es wurde zum Beispiel immer in der gleichen Reihenfolge das Mittagessen aufgetan und Günter war nicht an erster Stelle! Auch wurde beim Essen nicht geredet! In Günters Verwandtschaft gab es eine Autowerkstatt, gewiss prägte dieser Umstand. Günter war im weiteren Verlauf seines Lebens stolzer Besitzer einer Opel-Blitz-Feuerwehr.

Von der fünften bis zur zehnten Klasse besuchte Günter die Freie Rudolf-Steiner-Schule Ottersberg. Die Schulzeit muss für Ihn ein sehr schöner und prägender Lebensabschnitt gewesen sein. Bis zuletzt hat Günter im Verein der Ehemaligen mitgewirkt und bei Sommerfesten, sowie Novembermärkten sein Organisationstalent, sowohl beim Abwasch auf kleinstem Raum, als auch in der lautstarken Vermarktung von Tombola- Losen in kürzester Zeit, unter Beweis zu stellen.

Nach der Schule begann Günter eine Lehre im Einzelhandel.
Das erste Vorstellungsgespräch bei Karstadt in Bremen scheiterte jedoch, da es dort üblich war, mit Krawatte zu erscheinen. Günter wurde beim Binden des Anstandsstricks, von seiner Schwester Ulla ausgelacht, worauf er in die Dienste des Metallwaren- und Baustoffhändlers Surga in Zeven trat, denn dort beim Nägelabwiegen war die Krawatte überflüssig!

1973 heiratete Günters Schwester und er ward als Trauzeuge auserkoren.
Seine Zusage für diese Aufgabe kam, nachdem Ulla ihn vom Krawatten- und Anzugszwang befreit hatte.

1975 verstarb Günters Mutter und Tante Heli wurde zur wichtigsten Bezugsperson. Sie hielt für den erst 25-jährigen immer eine Tasche sauberer Wäsche bereit, die er in regelmäßigen, manchmal sich jährenden Abständen, gegen eine Tasche schmutziger Wäsche eintauschen konnte. In Tante Helis Nähe verbrachte Günter auch bis zu Ihrem Tode, seine Geburtstage. Er fuhr in Richtung Norden und feierte mit sich und einem Kasten Bier im Ferienhaus nahe bei Tante Heli.

Wir bekamen ihn erst im neuen Lebensjahr wieder zu Gesicht.
Nach der Lehre begann Günters Berufsleben, welches im wahrsten Wortsinn seine BERUFUNG war. Er leistete seinen Ersatzdienst und wurde somit zum „Zivi auf Lebenszeit“, denn sein Dienst im Zivilen endete nicht, wie damals üblich, nach achtzehn Monaten, nein er endete erst am Dienstag den 19.01.2016.

Endet Günters DIENST im Zivilen wirklich mit seinem Tode?
Oder wirkt er weiter und wir merken es nicht sofort, weil sich keiner lauthals die Nase putzt, weil keiner im Kino lacht, weil keiner auf dem Bremer Freimarkt wildfremde Menschen fragt, ob er ihre Pommes probieren darf?
Weil keiner den Kindern im Inarihof das Nutella nur sonntags zugesteht, dafür aber montags und mittwochs Brötchen, dienstags Smaks, donnerstags Joghurt, und freitags Schokomüsli?
Günter begann seinen Zivildienst auf dem Jugendhof Welpenmühle in Quelkhorn.
Dort war Erich Haye mit seinen Ideen und Günter traf auf viele weitere Mitstreiter, sowie weitläufige und nicht enden wollende Betätigungsfelder.
Zum Beispiel Kinder und Jugendliche im Dorf oder am Bremer Bahnhof einsammeln, wenn diese nicht rechtzeitig den Heimweg zum Jugendhof finden wollten.
Oder Fachwerkhäuser bauen, bevor überhaupt eine Baugenehmigung vorlag.
Den unplanmäßigen Baustop bis zum Vorliegen der erforderlichen Baugenehmigung, nutzten eine Handvoll junger Männer, um das erarbeitete Fachwissen im Fundamenteausheben und Balkenstellen für eigene Zwecke anzuwenden.

Dieses führte schließlich zum DFG-Haus in Stapel.
DFG steht für Deutsche Fachwerk Gesellschaft.
Günters Einsatz beim DFG Haus:
Einen Beistelltisch aufstellen - und alle Werkzeuge gut geordnet griffbereit halten. Darauf achten das sie scharf und sauber sind, und auch wieder zurück gelegt werden!

Günters Abschied vom Jugendhof wurde durch ein dortiges Feuer herbeigeführt, welches keinen Personenschaden, nur materiellen Schaden verursachte.
Günter beklagte den Verlust all seiner Habseligkeiten. Der Verlust an Kleidung wird sich in Grenzen gehalten haben, da er vermutlich 50% am Körper trug.
Günter hatte eine Sammlung an Märchenbüchern, welche den Flammen zum Opfer fielen. Ich vermute, auch dies wird sich nicht sonderlich bemerkbar gemacht haben:
Er hatte ja alle Märchen im Kopf. Sollte ihm dort eines abhanden gekommen sein, so dachte er sich halt ein neues aus!

Kennt jemand Günters Kochkünste?
Wisst Ihr, was man alles mit Ketchup verfeinern kann?

Günter war ein großer Kinofan. Das Wort „Lichtspielhaus“ zauberte ein Leuchten in seine Augen, beflügelte seine Gedanken und aktivierte unweigerlich sein Mundwerk.
Seine Kinokarriere begann als Abreißer im Zevener Kino.
Hierdurch hatte er das große Glück, alle Filme der Zeit kennen zu lernen.

Auf Grund dieser Umfassenden Filmkenntnis wählte er mit Bedacht „Tatis Schützenfest“ aus, um den Kindern der Kollegen in die wunderbare Welt der bewegten Bilder einzuführen.

Peinlich nur für die zarten Mädchen, das im Achimer Verzehrkino, der verrückte Onkel an ihrer Seite, wohl geschuldet seiner Abreißervergangenheit in Zeven, immer bereits vor den lustigen Szenen lachte und zwar prustend, schlagartig und vor allen Dingen LAUT!

1980 kam Günter nach Stapel, um sogleich seine Arbeit im zuvor von Christiane und Reinhard gegründeten Inarihof aufzunehmen.
Sein Zivildienst ging weiter: Er weckte die Kinder jeden Morgen und bereitete das Frühstück. Er sammelte „verirrte“ Kinder in Delmenhorst ein und versorgte in den Ferien die Tiere.

Wenn man heute fragt, wie es damals war, so ist die Antwort: Günter war immer da,
er war immer ein Ansprechpartner, - immer ein Onkel oder auch Vaterersatz!

Günter war immer Heiligabend im Inarihof, Günter hat immer ein Transportauto gehabt,
bei vielen Umzügen geholfen?
Oder fragen wir lieber bei welchem hat er einmal nicht geholfen hat?
Mit Günter kann man auch sehr gut zum Flohmarkt auf die Bürgerweide fahren.
Günter bringt die kuriosesten Sachen an den Mann oder die Frau.
Günter hilft fremden Bäkersburschen beim Berlinerverkauf!
Er wühlt sich durch die Menge, dem erfolglosen Verkäufer einige Berliner aus der Hand nehmend, uninteressierte Passanten zum Probieren auffordert,
und es bildet sich in kurzer Zeit eine Menschentraube. Günter fordert den erfolglosen Backwarenverkäufer auf: „So jetzt verkaufe!“

Ja das ist Günter - spontan, - unkonventionell, - menschlich, - zuverlässig!
Ich sage besser das war Günter. So wird er in unseren Erinnerungen weiter leben.

War Günter ein Heiliger?
Hat er sich für uns alle aufgeopfert? Immer diese Hilfsbereitschaft, niemals ein NEIN.
Wirklich kein NEIN?

Günter hat sein Leben gelenkt, hat sich aber auch gerne lenken lassen.
Wenn man ihn für etwas begeistern konnte.
Günter war ein Bindeglied, er hat sich „seine“ Familie zusammengestellt!

Kannte irgend jemand Günter komplett?
Was er dachte, fühlte; wovor er sich fürchtete?
Er hatte einen Wochen-Fahrplan: freitags mit Hefters ins Dörnschap,
samstags, 9Uhr in Zeven, Hof an der Aue. Früher noch mit Biertransfer.
sonntags 7Uhr: Frühstück für die Kinder im Inarihof. Tasse Tee für Regina!
10Uhr: Tee bei Helene und Reinhard
15Uhr: Kaffee bei Mana und Jan.
19.30Uhr: Tatort bei Michi und Andrea.
dienstags zum Griechen mit Reinhard.

Jeder hier kann wohl noch einen Termin hinzufügen. Alles ging mit Kontinuität und Verlässlichkeit. Genauso wie der Geburtstag bei Tante Heli.
Oder das lustige Gesicht-Nase-Schnurbartwackeln beim Zeitunglesen, vermutlich zum Brillerücken!

Günter animierte die Kinder zum Streiche-spielen, die Balance zwischen Mut und Übermut zu testen und wurde er einmal von der Wasserbombe getroffen oder setzte sich in den Dorn eines Kerzenleuchters, welchen zwei zuckersüße Mädchen unter seinem Bettlaken versteckten, so war Günter nicht das Opfer!
Nein er war der Hauptdarsteller!

Wisst Ihr noch, welchen Duft er meistens ausströmte? Orangenöl, Essig,
Brennesseljauche, Mausraus!
Alle diese mehr oder weniger guten Gerüche ermöglichte ihm seine Firma SNOEK.
Mir schien immer, das nicht das Geldverdienen im Vordergrund stand (dafür spielte er ja regelmäßig Lotto), sondern der Kontakt mit Menschen, die in seiner Firma arbeiteten, die welche er am Telefon beraten konnte. Die, deren Pakete er versandte.
Die Gespräche auf Pflanzenmärkten, Kataloge verteilen und Kataloge erstellen.

Hatte Günter eine Armbanduhr?
Nein! er war aber nicht zeitlos!
War er zwanghaft pünktlich oder hatte er nur das richtige Zeitgefühl?
War dieses Zeitgefühl die Grundlage für seine uns vorgelebte Kontinuität?

War diese Kontinuität seine Stütze, um nicht alleine durch die Welt zu gehen?
Hatte Günter keine Familie? Waren wir seine Familie? Haben wir durch unser Dasein ihm das gegeben, wofür er sich mit seiner Hilfsbereitschaft und Verlässlichkeit bei uns bedankte?

Wie Glücklich war Günter über sein Zuhause bei Regina und Stefan. Bedankte er sich auf seine Weise durch Verlässlichkeit und Authentizität.

Versuchte er durch seine kontinuierliche Gegenwart den Kindern ein zuverlässiger Pol in Ihrer ungewissen Umwelt zu sein? Er weckte Sie, bereitete jeden Morgen das Frühstück und für Regina ein Tasse Tee.

Günter konnte auch Nein sagen! Er hat es nur anders formuliert: “Ich passe auf, dass das Feuer richtig brennt und Du kannst unbesorgt das Holz holen!“
Günter hat drei Hochzeiten und eine Silberhochzeit organisiert.
Er war immer zur Stelle, wenn es etwas im Danz- und Speelklub zu erledigen gab, am liebsten natürlich mit Glühwein und – einer Filmvorführung.
Die ein oder andere Fahrradtour natürlich nur, wenn Sein Bus auch etwas transportieren konnte.

Er ist Patenonkel, gefühlter Patenonkel, Wahl-Opa, Vorbild, Ersatzvater.

Wie schön war es, mit Günter die perfekte Geschäfts- und Werbeidee auszutüfteln und
in Gedanken, mit vielen Worten, bei einer Gerstenkaltschale, sich selbst zu feiern,
das fördert die Kreativität - ungemein!
Er sagte, ich solle eine Maschine bauen, die so ein bisschen klappert und ab und an zischt, die stellen wir auf unseren Messestand und dann bleiben die Leute stehen
und wir kommen mit ihnen ins Gespräch.

Ich habe sie gerne mitgenommen, bei mir hieß sie Günter, sie plapperte, zischte und kam mit den Leuten ins Gespräch, auch ohne, dass diese stehen blieben!
Günter hat bei seiner regelmäßigen Postrunde bei Aries und JFW, sowie auch bei seinen anderen Wahl-Familienmitgliedern immer ein Bild gemalt, welches einem das Gefühl vermittelte: Wir kennen uns alle!
Ist jemand umgezogen?
Stehen Feiern ins Haus?
Gibt es eine neue Küche?
Wer war im Museum?
Günter hat es vermittelt, bildlich, fantasiereich, fantastisch!


Am letzten Freitag standen wir beide morgens um 8Uhr, dichter als sonst,
am Packtisch nebeneinander, beinahe auf Tuchfühlung. Nachdem er mit den Paketen im Auto verschwunden war, hatte ich das Gefühl, Günter braucht Zuneigung!
Ich wollte ihn beim Sonntagskaffee darauf ansprechen! Es kam leider nicht dazu, wir blieben Sonntag alleine. Am Montag wurden auch keine Pakete abgeholt, am Dienstag ist Günter von uns gegangen.

Hätten wir, seine patchwork-Familie, schneller reagieren müssen?
Waren wir zu sehr mit uns beschäftigt und haben nicht auf Günter geachtet?
Es muss uns doch auffallen, wenn er krank ist und ihm nicht gut geht!
Günter ist nie krank!

Ach, wie werden wir seine Postrunden vermissen, seine Belehrung für sorgsame Verpackung, das strukturierte Abwaschen, das laute Lachen!

Wenn Du denkst, es gibt keinen Ausweg oder Du fühlst Dich in einer Sackgasse,
so denk an Günter und das was du mit ihm erlebt hast!
Es wird Dir helfen und du kannst Ihn in Deinem Herzen bewahren!

Auf die Verlässlichkeit!