geb. Brand *19.10.1919 - †17.4.2015
Nachruf von Peter Stühl

Frau Haye war mit der Freien Rudolf-Steiner-Schule über viele Jahre eng verbunden als Klassen-, Englisch- und Musik-Lehrerin an der Oberstufe und als Schülereltern, mit ihrem Mann Erich Haye, der einige Jahre Geschäftsführer der Schule war.

Sie leitete das Schülerheim Netzer-Hotel an der Großen Strasse in Ottersberg und übernahm danach die erste Klasse mit 12 Schülern im „Dreiklassenbau“. Sie hat einige Klassen geführt und war als engagierte Kollegin sehr geschätzt.

Die soziale Fähigkeit
Unvergessen ist ihre soziales Engagement für Schüler mit besonderem Hilfe-Bedarf, das weit über die Schulzeit hinausreichte. Noch im letzten Lebensjahr wurden einzelne Beziehungen intensiv gepflegt.

Ebenfalls unvergessen ist ihr musikalischer Einsatz bei Kollegiumsausflügen,
Faschingsveranstaltungen und Klassenfahrten. Frau Haye und das Schifferklavier waren immer anwesend und einsatzbereit. So hat sie für gute Stimmung gesorgt. Sie war rundherum beliebt und als Ansprechperson hochgeschätzt. Sie wusste so ziemlich alles, was im sozialen Bereich bei Schülern und Mitarbeitern ablief und hatte wohl auch ihre oft unausgesprochenen Urteile darüber, nur, sie sprach selten darüber. Sie half lieber, wo Not war.

Behandlung von Notfällen
Es sind mehrere solcher Fälle bekannt, die sie als solche betrachtete und verfolgte. Davon hat keiner erfahren, erst dann, wenn sie gehandelt hatte. Ihre erste Aufgabe in der Schule: Frau Haye war im Netzer-Schülerheim und versorgte die Heimschüler über eine längere Zeit und wohnte in dem Nebenhaus mit den eigenen Kindern. Später wechselte sie zum Lehrerberuf ins Kollegium. Eines Tages wurde ihr ein Haus in Quelkhorn überschrieben, das sie verkaufte. Einen Teil des Erlöses verschenkte sie, aber nicht irgendwo hin. Sie stellte fest, dass es eine junge Erzieher-Familie gab, die über Jahre eines der Schülerheime leitete. Kurzerhand kam sie zum Kaffeetrinken und offenbarte, dass die kleine Familie nun einmal dringend Italien kennenlernen sollte. Sie hinterlegte die Kosten für die Fahrt und es konnte losgehen, mit Kindern und Hund in die Berge Italiens.

Der „versiegelte Engel“
So war Gertrud Haye. Sie gab auch gerne Buch-Ratschläge. Aus ihrer sehr umfangreichen Bibliothek wanderte so manches Buch. Eines Tages übergab sie das Buch „Der versiegelte Engel“ aus der Piper-Bibliothek von Lescow, das unbedingt gelesen werden sollte! Da es sich in diesem Werk um den Glauben im alten Russland handelte von einer Gemeinde, die herumzog, um für ihren Unternehmer zu arbeiten, geschah es, dass sie längere Zeit in einer Gegend lebten, wo sie ihren Glauben und ihre Gesänge unbeschwert leben konnten, ohne von der Obrigkeit behelligt zu werden, denn sie waren des untersagten alt-orthodoxen Glaubens. Ihnen waren die alten Ikonen wichtig bei der Ausübung ihres Kultus. Sie beteten vor ihnen und erfuhren dadurch manches Gute! Doch diese wurden gegenüber fremden Augen verborgen und sie verwahrten etliche „Reserve“-Ikonen an geheimer Stelle und ihre echten wurden versteckt. Da sie nichts zu befürchten hatten, konnten die richtigen an der Wand hängen bleiben; erst wenn Gefahr bevorstand, wurden sie ausgetauscht. Die Ikone mit dem Engel war die wichtigste, weil es der Engel vermochte, ihnen beizustehen und ihre Wünsche zu teilen und zu erfüllen. Lescow schildert dann in allen Einzelheiten, was es mit der heiligen Malerei dieser Ikonen auf sich hat und wie lange es dauert, bis man den richtigen Maler gefunden hat, der in der Lage ist, diese Kunstwerke zu schaffen. Diesen brauchten sie eines Tages, damit er hilft, die von der Obrigkeit entwendete und dann versiegelte Engel-Ikone zu kopieren, damit der Schwindel nicht auffällt, um ihren eigenen Engel wiederzubekommen.

Es hat Jahre gedauert, bis der Grund für die Übergabe dieses Geschenkes aufleuchtete. Gertrud Haye hatte ein Händchen auch für die unbegreiflichen Dinge im Leben und konnte auch dieses, tief in das Seelengeschehen des anderen Menschen hineinleuchten, um es zu entzünden. Der Beschenkte wurde später Religionslehrer.

Der Lebensweg*
Gertrud ist in Bremen, in einer gutbürgerlichen Familie mit einem zwei Jahre jüngeren Bruder aufgewachsen. Der Vater war Kaufmann (Zuckerimporte aus Kuba). Sie erlebte ihn als sehr pflichtgetreu und zuverlässig. Die Mutter war Hausfrau, phantasievoll und fröhlich. Beide waren sehr Kunstliebend und besonders die Musik war es, die im Hause gepflegt wurde. So bekam Gertrud seit dem achten Lebensjahr Klavierunterricht und guten theoretischen Hintergrund, Schwerpunkt Johann Sebastian Bach und die frühe Vermittlung zeitgenössischer Musik. Sie erlebte in der Grundschule und im musischen Gymnasium gute Lehrer.

Die Kriegsjahre
Mit 16/17 Jahren erfuhr sie ein großes Bedürfnis nach Freiheit und den Wunsch ins Ausland zu gehen, das war 1937. Sie war auch eine begeisterte Seglerin. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beendete die hochfliegenden Pläne und sie begann das Lehrerstudium in Hamburg, Wahlfach Musik (Klavier, Querflöte, Orgel). In den ersten Kriegsjahren nahm sie noch an einem erfüllten kulturellen musikalischen Leben in Hamburg teil. Nach einer verkürzten Ausbildung bekam sie eine Anstellung als Volksschullehrerin. 1943 wurde das Kriegsgeschehen immer erlebbarer und es kam zur „Notdienstverpflichtung“ bei der Luftwaffe als Führerin von 250 Luftwaffenhelferinnen in Pommern. Zum Ende des Krieges gelang ihr die Flucht; später die Rückkehr zu den Eltern nach Bremen.

Der Neubeginn
Nach Ende des Krieges war sie kurze Zeit bei der US Militärregierung tätig, hatte aber prägende Erlebnisse durch die Besatzungsmacht und deren Mitarbeiter, die sozialistisch-marxistisch eingestellt waren. 1946 wurde sie Sekretärin. Sie empfing in dieser Zeit stärkste künstlerische Eindrücke durch Konzerte und Opern und wirkte in einem philharmonischen Chor mit.

Die Heirat, Geburt ihrer Kinder und Tod der beiden Jungen
1948 heiratete sie den Redakteur Erich Haye und die junge Familie zog zu den Schwiegereltern nach Bassen und hatte von dort aus erste Kontakte zu der jungen Waldorfschule in Ottersberg und zur Anthroposophie. 1952, 1957, 1961 bringt sie ihre drei Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen zur Welt. 1958 verliert sie ihren ältesten Sohn nach einem Unfall. Eine intensive Beschäftigung mit dem Tod und mit dem Gedanken der Reinkarnation, der ihr seit ihrer Jugend geläufig ist, beginnt. Ab 1967 beginnt die Entfremdung vom Ehemann, die 1968 zur Scheidung führt. Sie zieht mit den Kindern nach Quelkhorn zu einer befreundeten Familie. Nach kurzer Leitung des Schülerheimes übernimmt sie die erste Klasse in der Waldorfschule und erlebt erfüllte Jahre in dieser Aufgabe. Ab 1978 übernimmt sie den Englisch-Unterricht in der Mittelstufe und wird Klavierbegleiterin für die Eurythmie. 1990 stirbt ihr zweiter Sohn nach einer Gehirnentzündung.




Der Parzivalhof
Die Verbindung zum Hof entwickelt sich seit der Gründung auf dem Gelände, auf dem vorher Erich Haye das Kinderheim Welpenmühle geführt hatte. Dort ist sie wieder im musikalischen Bereich tätig und zieht 1997 in die Gemeinschaftswohnung „Lindenhof“ ein, wo sie bis zu ihrem Tod lebt. Sie war Mitglied in der Christengemeinschaft.

Lieblingssprüche
J.W.v.Goethe: „Alles geben Götter, die unendlichen, ihren Lieblingen ganz: alle Freuden, die unendlichen, alle Schmerzen, die unendlichen.“

„Was ist Freiheit? Zu lieben, was man sich selbst befiehlt.“

Berthold Brecht: „Alle Künste tragen bei zur größten aller Künste, der Lebenskunst.“

*entnommen ihren Notizen, die sie am 30.8.1999 aufgeschrieben hat.

geb. Brand *19.10.1919 - †17.4.2015
Nachruf von Peter Stühl

Frau Haye war mit der Freien Rudolf-Steiner-Schule über viele Jahre eng verbunden als Klassen-, Englisch- und Musik-Lehrerin an der Oberstufe und als Schülereltern, mit ihrem Mann Erich Haye, der einige Jahre Geschäftsführer der Schule war.

Sie leitete das Schülerheim Netzer-Hotel an der Großen Strasse in Ottersberg und übernahm danach die erste Klasse mit 12 Schülern im „Dreiklassenbau“. Sie hat einige Klassen geführt und war als engagierte Kollegin sehr geschätzt.

Die soziale Fähigkeit
Unvergessen ist ihre soziales Engagement für Schüler mit besonderem Hilfe-Bedarf, das weit über die Schulzeit hinausreichte. Noch im letzten Lebensjahr wurden einzelne Beziehungen intensiv gepflegt.

Ebenfalls unvergessen ist ihr musikalischer Einsatz bei Kollegiumsausflügen,
Faschingsveranstaltungen und Klassenfahrten. Frau Haye und das Schifferklavier waren immer anwesend und einsatzbereit. So hat sie für gute Stimmung gesorgt. Sie war rundherum beliebt und als Ansprechperson hochgeschätzt. Sie wusste so ziemlich alles, was im sozialen Bereich bei Schülern und Mitarbeitern ablief und hatte wohl auch ihre oft unausgesprochenen Urteile darüber, nur, sie sprach selten darüber. Sie half lieber, wo Not war.

Behandlung von Notfällen
Es sind mehrere solcher Fälle bekannt, die sie als solche betrachtete und verfolgte. Davon hat keiner erfahren, erst dann, wenn sie gehandelt hatte. Ihre erste Aufgabe in der Schule: Frau Haye war im Netzer-Schülerheim und versorgte die Heimschüler über eine längere Zeit und wohnte in dem Nebenhaus mit den eigenen Kindern. Später wechselte sie zum Lehrerberuf ins Kollegium. Eines Tages wurde ihr ein Haus in Quelkhorn überschrieben, das sie verkaufte. Einen Teil des Erlöses verschenkte sie, aber nicht irgendwo hin. Sie stellte fest, dass es eine junge Erzieher-Familie gab, die über Jahre eines der Schülerheime leitete. Kurzerhand kam sie zum Kaffeetrinken und offenbarte, dass die kleine Familie nun einmal dringend Italien kennenlernen sollte. Sie hinterlegte die Kosten für die Fahrt und es konnte losgehen, mit Kindern und Hund in die Berge Italiens.

Der „versiegelte Engel“
So war Gertrud Haye. Sie gab auch gerne Buch-Ratschläge. Aus ihrer sehr umfangreichen Bibliothek wanderte so manches Buch. Eines Tages übergab sie das Buch „Der versiegelte Engel“ aus der Piper-Bibliothek von Lescow, das unbedingt gelesen werden sollte! Es handelte sich in diesem Buch um den alten russischen, alt-orthodoxen Glauben und um die Bedeutung und Wirkung der Ikonen.
Es hat Jahre gedauert, bis der Grund für die Übergabe dieses Geschenkes aufleuchtete. Gertrud Haye hatte ein Händchen auch für die unbegreiflichen Dinge im Leben und konnte auch dieses, tief in das Seelengeschehen des anderen Menschen hineinleuchten, um es zu entzünden. Der Beschenkte wurde später Religionslehrer.

Der Lebensweg*
Gertrud ist in Bremen, in einer gutbürgerlichen Familie mit einem zwei Jahre jüngeren Bruder aufgewachsen. Der Vater war Kaufmann (Zuckerimporte aus Kuba). Sie erlebte ihn als sehr pflichtgetreu und zuverlässig. Die Mutter war Hausfrau, phantasievoll und fröhlich. Beide waren sehr kunstliebend, und besonders die Musik war es, die im Hause gepflegt wurde. So bekam Gertrud seit dem achten Lebensjahr Klavierunterricht und guten theoretischen Hintergrund, Schwerpunkt Johann Sebastian Bach, und die frühe Vermittlung zeitgenössischer Musik. Sie erlebte in der Grundschule und im musischen Gymnasium gute Lehrer.

Die Kriegsjahre
Mit 16/17 Jahren erfuhr sie ein großes Bedürfnis nach Freiheit und den Wunsch ins Ausland zu gehen, das war 1937. Sie war auch eine begeisterte Seglerin. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beendete die hochfliegenden Pläne und sie begann das Lehrerstudium in Hamburg, Wahlfach Musik (Klavier, Querflöte, Orgel). In den ersten Kriegsjahren nahm sie noch an einem erfüllten kulturellen musikalischen Leben in Hamburg teil. Nach einer verkürzten Ausbildung bekam sie eine Anstellung als Volksschullehrerin. 1943 wurde das Kriegsgeschehen immer erlebbarer und es kam zur „Notdienstverpflichtung“ bei der Luftwaffe als Führerin von 250 Luftwaffenhelferinnen in Pommern. Zum Ende des Krieges gelang ihr die Flucht, später die Rückkehr zu den Eltern nach Bremen.

Der Neubeginn
Nach Ende des Krieges war sie kurze Zeit bei der US Militärregierung tätig, hatte aber prägende Erlebnisse durch die Besatzungsmacht und deren Mitarbeiter, die sozialistisch-marxistisch eingestellt waren. 1946 wurde sie Sekretärin. Sie empfing in dieser Zeit stärkste künstlerische Eindrücke durch Konzerte und Opern und wirkte in einem philharmonischen Chor mit.

Die Heirat, Geburt ihrer Kinder und Tod der beiden Jungen
1948 heiratete sie den Redakteur Erich Haye und die junge Familie zog zu den Schwiegereltern nach Bassen und hatte von dort aus erste Kontakte zu der jungen Waldorfschule in Ottersberg und zur Anthroposophie. 1952, 1957, 1961 bringt sie ihre drei Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen zur Welt. 1958 verliert sie ihren ältesten Sohn nach einem Unfall. Eine intensive Beschäftigung mit dem Tod und mit dem Gedanken der Reinkarnation, der ihr seit ihrer Jugend geläufig ist, beginnt. Ab 1967 beginnt die Entfremdung vom Ehemann, die 1968 zur Scheidung führt. Sie zieht mit den Kindern nach Quelkhorn zu einer befreundeten Familie. Nach kurzer Leitung des Schülerheimes übernimmt sie die erste Klasse in der Waldorfschule und erlebt erfüllte Jahre in dieser Aufgabe. Ab 1978 übernimmt sie den Englisch-Unterricht in der Mittelstufe und wird Klavierbegleiterin für die Eurythmie. 1990 stirbt ihr zweiter Sohn nach einer Gehirnentzündung.

Der Parzivalhof
Die Verbindung zum Hof entwickelt sich seit der Gründung auf dem Gelände, auf dem vorher Erich Haye das Kinderheim Welpenmühle geführt hatte. Dort ist sie wieder im musikalischen Bereich tätig und zieht 1997 in die Gemeinschaftswohnung „Lindenhof“ ein, wo sie bis zu ihrem Tod lebt. Sie war Mitglied in der Christengemeinschaft.

Lieblingssprüche
J.W.v.Goethe: „Alles geben Götter, die unendlichen, ihren Lieblingen ganz: alle Freuden, die unendlichen, alle Schmerzen, die unendlichen.“

„Was ist Freiheit? Zu lieben, was man sich selbst befiehlt.“

Berthold Brecht: „Alle Künste tragen bei zur größten aller Künste, der Lebenskunst.“

*entnommen ihren Notizen, die sie am 30.8.1999 aufgeschrieben hat.